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der coerdemarkt in münster, sonst öde, grau, gemieden, verwandelt sich bei gutem wetter in eine piazza mit mediterranem flair, die sitzbänke in der kleinen fußgängerzone, umgeben von einstöckigen ladenzeilen, sind vollbesetzt mit russischen großmüttern und türkischen großfamilien, alle frauen tragen kopftücher, dicke nackte kinder spielen in dem brunnen, der aus häßlichen schwarzen würfeln zusammengesetzt ist, aus der neueröffneten eisdiele plärrt italienischer popschmalz, mitten auf dem platz führt eine treppe zu dem einzigen zweiten stockwerk in sichtweite, dort hat ein wirtschaftsprüfer sein büro, plötzlich öffnet sich die vergitterte tür und eine elegante frau stolziert langsam die treppenstufen hinunter, wahrscheinlich muß sie aufpassen, dass ihre pumps nicht in der gittertreppe steckenbleiben, ein paar jungs mit mountainbikes begaffen ihren auftritt, sie stolziert über den platz und wird von einem ältlichen glatzkopf im anzug in den arm genommen, die beiden verschwinden neben der vitrine, in der der ortsverein der cdu sich vorstellt, in richtung parkplatz, ein türkischer junge schreit einem mädchen hinterher, sie ignoriert ihn trotzdem, der M., der in einem hochhaus nebenan wohnt, rast mit seinem fahrrad über den platz, mit wehenden haaren, zwei verkäuferinnen haben feierabend und setzen sich zu mir auf die bank, auf englisch schimpfen sie über ihre männer, und eigentlich müßte auch jörn hier irgendwo mit seinen kumpeln rumhängen, wenn er nicht spurlos verschwunden wäre.

Heute mal ein Sachbuch: Die Eroberung des Körpers von Paul VIrilio. Manches in dem Buch wirkt sehr phantastisch - man wünscht sich fast, man läse eigentlich einen Roman (gruß an jasper: im klappentext stand auch was vom zeitgenössischen Jules Verne). Leider schreibt er aber über die wirklich existierende, zunehmende Macht von Bio- und Informationstechniken. Er beschreibt das Übermaß an Informations- und Transportsoptionen, aber auch über die immer größeren Möglichkeiten, Körperteile durch Prothesen und Implantationen zu ersetzen. Er befürchtet dadurch ein Verschwinden von Raum und Zeit in unserer Wahrnehmung, letztendlich auch ein Verschwinden von biologischen Körperfunktionen. Der Mensch würde immer weniger individuell, immer virtueller und immer manipulierbarer werden. Das Verschwinden von Zeit erzeugt natürlich auch Lange-Weile (im eigentlichen Wortsinn), daher die immer neuen Versuche, die Lange-Weile mit Extremsportarten, Drogen oder manchen Formen elektronischer Musik abzutöten. Virilio beschreibt das natürlich viel einleuchtender und fundierter, aber vielleicht haben wir ja trotzdem Glück und er irrt sich.

Einmal erfährt Morgan Spurlock (was für ein Name!), dass der durchschnittliche Amerikaner 5000 Schritte am Tag geht. Darunter kann er sich erst nicht richtig viel vorstellen, aber nachdem er einen Schrittmesser installiert hat und einmal zum Frühstücken nach draußen gegangen ist, war er schon fast zweitausend Schritte gegangen. Um für den Rest des Tages unter fünftausend zu bleiben, mußte er sehr viel rumsitzen und ansonsten nur Fahrstuhl und Taxi fahren. Trotzdem ganz schön schwer, sowenig zu laufen.
In welchem Film?

Im Nordpazifik, also von hier aus gesehen auf der genau anderen Seite der Nordhalbkugel, schwimmt die größte Mülldeponie der Welt. Sie ist so groß wie Westeuropa. Weil es zwar entlang der Kontinente Meeresströmungen gibt, aber in der Mitte des Pazifiks eine Art windstilles schwarzes Loch, schwimmen Plastikkanister, Verpackungen von Fast-Food-Restaurants, Kinderspielzeug und sonstige Kunststoffartikel jahrelang auf der Meeresoberfläche. Zusammen wiegt all der Müll wahrscheinlich sechs mal so viel wie alles Plankton im Pazifik. Das sieht nicht schön aus. Es dauert außerdem Jahrhunderte, bis der Kunststoff abgebaut wird. Und dann hat er sich in kleine, giftige Einzelteile aufgelöst, die in die Nahrungskette gelangen. Schon jetzt verenden viele Meerestiere, weil sie an großen Plastikteilen ersticken, sich damit verletzen oder darin hängen bleiben.

Unter anderem in Montserrat und Bhutan.
Montserrat ist eine kleine Karibikinsel, deren Hauptstadt samt Fußballstadion vor wenigen Jahren im Ascheregen des Inselvulkans unterging, eine neue kleine Hauptstadt und ein neues kleines Fuballstadion wurden wieder aufgebaut. Bhutan ist ein kleines buddhistsisches Königreich im Himalaya, in dem das Fernsehen erst vor ein paar Jahren eingeführt wurde, u.a. weil die Leute die Fußballweltmeisterschaften sehen wollten. Der Film "the other final" erzählt, wie ein Holländer das Treffen der beiden schlechtesten Nationalmannschaften der Welt genau an dem Tag veranstalten läßt, an dem in Yokohama Nike gegen Adidas um die Weltmeisterschaft spielten. Der Priester einer karibischen Gospelkirche hat zwar um den Sieg für Montserrat gebetet, damit "der Name des Herrn durch diesen Sieg verherrlicht werde" (welcher Name?), gewonnen hat aber Bhutan, vielleicht weil ihre Mannschaft in den Klöstern nicht um den Sieg, sondern um Glück und Gesundheit und die Vermiedung von Unfällen gebetet hat. In seinem niedlichen Englisch erzählt der Außenminister Bhutans, dass es im Sport zwei Aspekte gibt: den Gedanken zu siegen und der Beste zu sein, baer auch den Aspekt der Verständigung und des Zusammenspiels. Er bedauert, dass der erste Aspekt immer mehr in den Vordergrund gerät. Immerhin: zwar freut sich der Fernsehreporter Bhutans über den größten Sieg in der Geschichte seines Landes aber er sagt auch: seht nur, wie traurig der Torwart Montserrats zwischen seinen Pfosten sitzt, der arme Torwart. Er hat mein tiefstes Mitgefühl.

zum Beispiel mag ich den Simon aus Köln
WEIL er zwar nicht aus Köln kommt, aber für diese Stadt wie gemacht ist: unverklemmt kontaktfreudig und unberechenbar in seinen Freudenausbrüchen. WEIL er sich in seinem Zimmer direkt unter der Decke einen Denkerstuhl angebracht hat, falls ihm mal nach Denken ist, und das kommt bestimmt nicht selten vor. WEIL seine Fotoalben voll sind mit Fotos von Graffittis aus Belfast, Barcelona oder New York, und überhaupt viele seiner Fotos oft mehr Geschichten erzählen als so manche Weblogbeiträge.

die pollerwiesen in köln sind das, was der grünstreifen am dortmund-ems-kanal gern wäre: wiesen bis zum Horizont, ein richtiger, also träge vor sich hin fließender fluß, ausflugsschiffe mit mindestens drei partystockwerken, und im hintergrund die scyline mit dem nachts weiß schimmernden dom, den angestrahlten brückenpylonen und ein paar angehenden wolkenkratzern, auf denen lichtspiele gezeigt werden, auf den weg zu den wiesen kommt man an einer kleinen drehbrücke mit schleusenwärterhäuschen vorbei, direkt davor ankert ein als asylbewerberheim getarntes schiff, das ohne erlaubnis und wer weiß was für papiere zu betreten nicht erlaubt ist, am rheinufer werden bierflaschen im flußwasser gekühlt, ein paar meter weiter grillen ein paar leute paprika, es gibt lagerfeuer, und über die severinbrücke fährt am horizont mit blaulichtern ein löschzug, der zur stadtbeleuchtung zu gehören scheint, jetzt noch mal zurück! bittet jemand, aber ein bißchen später wird sogar noch die dombeleuchtung abgestellt.

Einmal beugt sich Al Pacino leicht vor, so dass die eine Hälfte seines Gesichts und Hutes im Schatten bleibt und sagt mit kontrollierter Kälte: "Beleidige vor allem nicht meine Intelligenz. Das macht mich wütend." Wenig später wird sein Gesprächsparter in einem Auto ermordet, wie kurz zuvor wie alle andere Personen, die nicht derselben Meinung waren wie Pacino, oder offensichtlich seine Intelligenz beleidigt haben. Seine Frau ahnt etwas und fragt ihn: Ist das wahr, hast du das gemacht? Und er sagt: Gut, dieses eine Mal darfst du nach meinen Geschäften fragen. (lange Pause, während der er seiner Frau in die Augen schaut) Und er sagt: Nein.
In welchem Film?
(In Amerika macht macht man sich darüber lustig, dass alle jungen Männer behaupten, das sie ihr Lieblingsfilm, obwohl die meisten ihn angeblich nur vom Hörensagen kennen.)

In der Reihenhaussiedlung meiner Eltern wohnt zwei Häuser weiter ein ziemlich spießiges Ehepaar (Zwischenfrage: wie definiert man spießig? Mein Vorschlag: wenn man nicht über seinen eigenen Horizont gucken kann, oder besser noch: nicht gucken will). Im Garten langweilen sich Löwenskulpturen und Laternen aus falschem Marmor, wenn man sich vor dem Haus unterhält, bringt sie grundsätzlich gerade zufällig den Müll raus oder muß die Blumen gießen, der Mercedes wird jeden Samstag gewaschen (obwohl das eigentlich nicht erlaubt ist) und beide ärgert es sehr, wenn der Parkplatz direkt vor ihrem Haus besetzt ist. Vor ein paar Jahren ist das Fürchterlichste passiert: ein Sturm hat eine hohe Birke so unglücklich gefällt, dass dabei der Zierapfelbaum, die Krönung des Gartens, zerstört wurde. Und dann ist wegen zweier Todesfälle (aber das ist eine andere Geschichte) auch noch das direkte Nachbarhaus freigeworden und beinahe wäre eine türkische Familie mit vielen Kindern dort eingezogen. Ich hatte mich schon auf große orientalische Gartenfeste gefreut, aber die Mercedesfahrer hatten tatsächlich vor, etwas dagegen zu unternehmen, wie auch immer sie sich das vorgestellt haben. Jetzt wohnt jedenfalls ein kinderloses Paar in dem Reihenhaus, aber ihre Nachbarn sind trotzdem nicht zufrieden. Er fährt einen tiefliegenden, hellblauen Zweisitzer, den man sehr leicht übersehen kann, wenn man versucht mit dem Mercedesschiff einzuparken, und beide hören bestimmt keine deutschen Schlager, renovieren alles im Haus selber - was auch nicht lautlos bleibt - und haben gerne Besuch, mit dem sie im Garten sitzen, viel reden und manchmal sogar lauthals lachen. Menschen gibt es.
Weil unsere Nachbarn keine Lust mehr hatten, ständig unerwartet ältere Leute in ihrem Garten raumlaufen zu sehen, sind sie auf dieselbe Lösung gekommen sind wie Walter Ullbricht oder Ariel Scharon: sie haben einen Zaun gebaut, der sich an der ganzen schmalen Gartengrenze entlangzieht. Der Garten ist grün und mannshoch. Ein Gitterzaun, den man oft auch in Zoologischen Gärten sieht, um ein Gepardengehege herum zum Beispiel oder um Giraffen an der Flucht zu hindern. Irgendwann wird der Zaun zuwachsen und ganz nett aussehen. Das wird noch ein paar Jahre dauern. Bis dahin wird er unübersehbar jeden in der Siedlung daran erinnern, wie anstrengend es ist, Nachbarn zu haben.

 

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