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der dortmund-ems-kanal in münster muß dafür herhalten, dass es in münster kein meer, keine echten seen und nicht mal einen richtigen fluß gibt, deswegen trifft man sich an seinem ufer und sogar alte leute steigen in das brackige wasser, jüngere springen verbotenermaßen von den brückenbögen oder hängen sich an die vorbeischwimmenden kähne, jetzt haben die ferien angefangen und schon vormittags sitzen junge leute am kanal und hören laut musik, süppeln vor sich hin, manche angeln, am anderen ufer liegt das ausflugsschiff santa monica 3 (www.santamonica3.de), es faßt zteihundert personen, bevorzugt senioren, man hört deutsche schlager herüberdröhnen und dann kommt eine herde alter leute von dem gasthaus an der wolbeckerstraße, vielleicht war dort gerade eine verkaufsschau und steigen beschingt, zumindest teilweise, das traumschiff und ihr beschwipstes gelächter und gejohle beginnt langsam die volksmusik zu überdröhnen.

Gestern war überall Nicaragua. In der taz ein fünf-seiten-dossier, und im cinema ein filmeabend, denn: vor fünfundzwanzig Jahren haben die Sandinisten den Diktator Somoza vertrieben und auch viele Deutsche auf einen gerechten und friedlichen Neuanfang gehofft.
Was blieb? Vorgestell wurden die Filme im Cineman gestern von Volker P., einem Filmfreak, der selber mal in Nicaragua gearbeitet hat. Wenn man ihn zuhause besucht, erzählt er langsam und etwas schläfrig, wie er auf Kaffeeplantagen gearbeitet hat, weil die Männer in den Krieg gegen die von den USA finanzierten Contras ziehen mussten und ohne die Hilfe aus Europa die Kaffeeernte verfault wäre. Dann zeigt er ein paar vergilbte Zeitungsartikel (die er in einem alten Aktenordner sammelt) von den EInsätzen seiner Arbeitsbrigade oder kramt einen Videofilm aus seiner Sammlung, den irgendein entfernter Bekannter in Managua gedreht oder geschnitten hat. Für den Abend gestern hat er sich seine Haare ordentlich und kurz schneiden lassen, und er stand aufgeregt und verschwitzt am Eingang, um jedem eine Orange zu geben ("lasst sie ihre orangen essen" war eines der Motto im ideologischen Kampf gegen die Amerikaner) und auf eine Unterschriftenaktion hinzuweisen, etwas fahrig kündet er die Filme (zwei Kurz- und einen richtigen Spielfilm) an, redet ein paar der Gäste mit Vornamen an und weist ein bißchen auf die jetzige Situation in Nicaragua hin, meist wird er aus dem Publikunm verbessert, von den Errungenschaften der Sandinisten ist nicht viel geblieben, die Analphabetenrate soll wieder bei sechzig Prozent liegen, die Preise steigen weiter, dikiert von amerikanischen Konzernen, und über die Hälfte der Einwohner muß mit einem Dollar oder weniger auskommen.
Und was ist in Nicaragua von den Sandinisten geblieben? Auf manchen Hütten weht noch ihre schwarzrote Fahne, manchmal gerät man in eine lautstarke Demonstration, aber wenn man sich mit den Menschen unterhält, wirken die meisten desillusioniert und erinnern sich daran, dass sie in einem grausamen Krieg kämpfen mußten, dass die Sandinisten auch nicht jede Minderheit toleriert haben und ihre Führungspersonen schließen auch nicht weniger macht- und geldbesessen waren, auch nicht weniger korrupt, als die Führer anderer politischer Parteien.

Manchmal, immer seltener, liest man ein derart gutes Buch, dass selbst der Schlaf, der sonst dafür sorgt, dass beim Lesen die Augen zufallen, schwächer ist, und man das Gefühl hat, zuviel Kaffee getrunken zu haben. Vorgestern ist mir das mit einem Buch von Philip Roth passiert: Der menschliche Makel. Ein erfolgreicher Professor muß wegen eines angeblich rassistischen Kommentars von seinen Ämtern zurücktreten, aber im Laufe des Buches kommt heraus, dass dieser Professor selbst eigentlich ein Schwarzer ist, der während des Krieges behauptet hat, Weißer zu sein, ihm wurde das geglaubt, weil er sehr hellhäutig war, er hat den Kontakt zu seiner Familie abgebrochen und eine jüdische Identität angenommen. Aber den menschlichen Makel, der nicht in irgendeiner Hautfarbe, sondern der menschlichen Unvollkommenheít besteht (wie seine Schwester am Ende feststellt), konnte er nicht ablegen, der verfolgt jeden, in dem Buch auch noch ein paar andere Personen, die in die Geschichte éingebunden sind und ihr eigenes tragisches Leben zur Geschichte beitragen, zum Beispiel einen Vietnam-Veteran, der zum ersten Mal versucht, ein vietnamesisches Restaurant zu besuchen.

im westfalenstadion in dortmund, dem angeblich größten fußballstadium europas, ist auch unter der woche und ohne spiele ziemlich viel los, ständig kommen leute aus allen teilen deutschlands, die sich nur mal so das stadium ansehen wollen und froh sind, wenn sie kurz auf eine tribüne dürfen, ein ehepaar hat dauerkarten getauscht und will sichergehen, ob sie mit den neuen plätzen auch zufrieden sein können, sogar eine schulklasse aus amerika auf deutschlandrundreise will das stadium sehen, leute von siemens probieren irgendetwas an der anzeigetafel aus, die abwechselnd tiefblau und neongrün aufleuchtet, ein paar typen vom bvb kontrollieren den rasen, gasleitungen werden neu verlegt und ein biblischer kongress am wochenende vorbereitet, ein betrunkener mit hut, regenschirm und grünem jacket taucht plötzlich im stadion hinter den absperrungen auf und verschwindet in den endlosen sitzreihen der zuschauertribünen, er bleibt unauffindbar, vielleicht hat er sich einfach irgendwo zwíschen die sitzreihen gelegt und ein nickerchen gemacht.

Zum Beispiel mag ich Mieze Bauschulte
WEIL ich niemanden kenne, der seinen Führerschein schon so lange hat: seit 1939. Einparken hat sie damals nicht gelernt, dafür gab es zuwenig Autos, aber sie fährt - solange es hell ist - immer noch Auto, und das mit dem Einparken klappt im Allgemeinen immer noch, nur manchmal nimmt sie ein bißchen Buschwerk mit, aber das macht dem Auto nichts, sagt sie, sowas ist das alles schon gewohnt.
WEIL sie Mieze genannt wird, und ich muß unbedingt mal herausfinden warum, vielleicht einfach deswegen, weil der Name so gut paßt, weil sie tatsächlich manchmal wie eine freundliche, altersweise Großkatze wirkt, die immer ein verbindliches Lächeln auf den Lippen hat, egal wie erschöpft sie gerade ist.

Letzte Woche habe ich von Gustave Flaubert endlich die Drei Erzählungen gelesen, eines von diesen Büchern, die man eigentlich schon längst gelesen haben wollte. Am beeindruckensten ist wohl die Geschichte der Dienstmagd Felicité (das heißt Glück), die Flaubert in Ein schlichtes Herz erzählt. Sinnigerweise ist diese einfache und eigentlich ihr Leben lang einsame Frau tatsächlich auf eine traurige Weise glücklich: weil sie sehr katholisch ist und alles glaubt, was man ihr über Heiligenlegenden, die Mutter Gottes und das Mysterium der Kommunion erzählt. Das ihr Glaube nur eine traurige Illusion ist, zeigt Flaubert durch ein bedrückendes Bild: ihr ganzes Leben lang liebt Felicité einen grünen Papagei, erst als lebendiges Tier, später ausgestopft, und je älter sie wird, um so mehr überträgt sie ihre Verehrung der Mutter Gottes auf den ausgestopften grünen Vogel, und als sie am Ende stirbt, sieht sie einen riesigen grüne Papagei mit ausgebreiteten Flügeln, der ihre Seele aufzunehmen scheint, und das tieftraurige daran ist, das diese Illusion sie tröstet.

Hoffnung!
In der ZEIT stand, warum die Zeit schneller vergeht, je älter man wird: das soll in erster Linie gar nicht daran liegen, daß die relative Länge einer Zeitspanne im Vergleich zur Gesamtlänge des bisherigen Lebens geringer wird (also ein Jahr für einen Dreijährigen ein Drittel seines Lebens ausmacht, für einen Dreißigjährigen nur noch ein Dreißigstel etc.), sondern: je monoter das Leben wird, um so weniger Zeitverlauf verbucht das Gehirn, 365 gleiche Tage werden nur wie ein Tag gespeichert, und dann vergeht die ZEIT natürlich schneller.
Also: mehr Abwechslung ins Leben bringen, öfter mal neue Herausforderungen, und das Leben wirkt viel länger. Und man hat mehr, worüber man im Weblog schreiben kann.
Und noch was macht Hoffnung: im Alter nimmt die Leistungsfähigkeit des Gehirn gar nicht ab, das soll nur eine selffullfillment prophecy sein: weil man davon ausgeht, im Alter nicht mehr soviel lernen zu können, wagt man sich an weniger Herausforderungen und wenn, dann häufig weniger optimistisch und motiviert. Und dann lernt man natürlich weniger effektiv, obwohl die Fähigkeit, zum Beispiel Sprachen oder Instrumente zu erlernen, immer noch vorhanden ist.

 

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