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Wahrscheinlich mögen die Mullahs im Iran Fußball gar nicht und würden sich wünschen, dass ihre religiösen Programme so viel Begeisterung entfachen könnten wie die deutsche Fußballnationalmannschaft, die schon lange nicht mehr in Deutschland so bejubelt wurde wie in Teheran. Wahrscheinlich ist es auch schon lange her, dass 100.000 Iraner freiwillig Stadien stürmen, um für die Ayatollas zu demonstrieren, dann noch und weitere 150.000 draußen bleiben müssen, weil sie keinen Einlaß mehr bekommen können.
Immerhin kann die religiöse Führung des Iran noch verhindern, dass auch Frauen zu Füßballspielen zugelassen werden, unter den 100.000 waren nur ein paar weibliche, deutsche Botschaftsangehörige. Nicht verhindern konnten sie die deutschsprachige Bandenwerbung. Unter anderem für Bitburger. Bierwerbung in einer islamischen Theokratie? Aber nur für alkoholfreies Bitburger.
Wer weiß, was passiert währe, wenn der Iran am Samstag gewonnen hätte - wäre dann eine Revolution ausgebrochen. 250.000 Leute müßten ausreichen. So gesehen können die Mullahs sich bei Fabian Ernst, Thomas Brdaric und Jens Lehmann sogar noch bedanken.

Letztens bin ich abends nach einem Fußballspiel im Scott?s View nach Hause gekommen und auf meinem Balkon lag ein wunderschöner weißer glänzender Fußball.
Komisch, dachte ich, kann mich nicht erinnern wer den hier liegengelassen haben könnte, oder ist das ein Geschenk des Himmels? Aber ich war auch ziemlich müde und froh endlich ins Bett zu kommen, und als ich am nächsten Morgen aufwachte, hatte ich den Ball ganz vergessen.
Direkt nach dem Aufstehen klingelte das Telefon, und an der Leitung (eigentlich ist mein Telefon ja schnurlos) war eine aufgeregte Nachbarin. Ist zufällig bei Ihnen gestern auf dem Balkon ein Fußball gelandet? Das war der Lieblingsball meines Sohnes! Er hat ihn aus seinem Ferienlager mitgebracht und er ist handsigniert. Stimmt, dachte ich, bei mir liegt ja ein Ball auf dem Balkon, und beim Hinsehen sah ich auch die knallrote Unterschrift irgendeines Fußballlehrers. Mein Sohn war schon ganz verzweifelt, meinte die Frau noch, und eine Minute später stand sie schon vor der Tür, um den Ball abzuholen.
Jetzt hab ich wieder keinen Fußball mehr, aber dafür hat gestern Leverkusen Real Madrid mit 3:0 geschlagen.

Amerikas Desinteresse an Sportarten, die ansonsten die ganze Welt in Ekstase versetzen ist vielleicht genauso typisch für das Land, wie die Weltmeisterschaften in Sportarten, die nur Amerikaner in Ekstase versetzen und bei denen daher nur Vereine aus den Vereinigten Staaten gegeneinander antreten. (Wenn man sich auf der Hurrican-Special-Website von CNN die zehn schlimmsten Hurricans ever ansehen will, werden nur Hurricans aufgelistet, die die USA verwüstet haben.)
Immerhin wußte Gabrielle, dass die deutschen Fußballdamen Weltmeister geworden sind (mir ist gerade entfallen, wer bei den Olympischen Spielen Gold gewonnen hat). Sie wußte aber auch, dass die Amerikanerinnen natürlich im Halbfinale niemals gegen die deutschen verloren hätten, wenn irgendeine angeblich wichtigste Spielerin nicht verletzt gewesen wäre.

Andreas ist blind und wohnt in einem Haus, dessen Treppen ich putze. Am Freitag war er sehr aufgeregt, weil gleich die deutschen Handballer im Halbfinale der Olympischen Spiele stehen sollten. Sehen kann ich es ja leider nicht, meint er, aber zuhören ist bestimmt genauso spannend. Vor ein paar Tagen das Viertelfinalspiel mit Verlängerungen und dem Siebenmeterschießen, das hat er kaum ausgehalten.
Die Bundesligaschlußkonferenz am Samstagnachmittag ist für ihn fester Bestandteil des Wochenende. Einmal hörte er etwas von einer CD mit den Höhepunkten der letzten Jahre. Da hab ich einen schleimigen Brief an den WDR geschrieben, erzählt er, und die haben mir die CD dann sogar geschenkt. Auf der CD sind ein paar Höhepunkte, die ich auch live mitbekommen haben: zum Beispiel der Saisonabschluß 1999, als in den letzten zehn Minuten mehrmals der Absteiger wechselte und am Ende Frankfurt in der Liga blieb, weil es immer noch ein Tor mehr schoß als Nürnberg, in dessen Stadion Günter Koch einem Nervenzusammenbruch am Mikrofon beinahe zu erliegen schien. Sehr ungerne hört Andreas die letzen Minuten der Saison 2000/01, als Schalke drei Minuten lang Meister war und in der Nachspielzeit München noch ein indirekter Freistoß zugesprochen wurde. Da wußte ich sofort, sagt Andreas, und muß immer noch mit dem Kopf schütteln, der ist drin. Und schon wieder Bayern Meister.

Unter anderem in Montserrat und Bhutan.
Montserrat ist eine kleine Karibikinsel, deren Hauptstadt samt Fußballstadion vor wenigen Jahren im Ascheregen des Inselvulkans unterging, eine neue kleine Hauptstadt und ein neues kleines Fuballstadion wurden wieder aufgebaut. Bhutan ist ein kleines buddhistsisches Königreich im Himalaya, in dem das Fernsehen erst vor ein paar Jahren eingeführt wurde, u.a. weil die Leute die Fußballweltmeisterschaften sehen wollten. Der Film "the other final" erzählt, wie ein Holländer das Treffen der beiden schlechtesten Nationalmannschaften der Welt genau an dem Tag veranstalten läßt, an dem in Yokohama Nike gegen Adidas um die Weltmeisterschaft spielten. Der Priester einer karibischen Gospelkirche hat zwar um den Sieg für Montserrat gebetet, damit "der Name des Herrn durch diesen Sieg verherrlicht werde" (welcher Name?), gewonnen hat aber Bhutan, vielleicht weil ihre Mannschaft in den Klöstern nicht um den Sieg, sondern um Glück und Gesundheit und die Vermiedung von Unfällen gebetet hat. In seinem niedlichen Englisch erzählt der Außenminister Bhutans, dass es im Sport zwei Aspekte gibt: den Gedanken zu siegen und der Beste zu sein, baer auch den Aspekt der Verständigung und des Zusammenspiels. Er bedauert, dass der erste Aspekt immer mehr in den Vordergrund gerät. Immerhin: zwar freut sich der Fernsehreporter Bhutans über den größten Sieg in der Geschichte seines Landes aber er sagt auch: seht nur, wie traurig der Torwart Montserrats zwischen seinen Pfosten sitzt, der arme Torwart. Er hat mein tiefstes Mitgefühl.

Eigentlich war ich am Sonntag nach dem Finale etwas traurig, die ganze EM über wurde von der neuen offensiven Spielweise geschwärmt und den vielen beeindruckenden Toren, und dann wird eine Mannschaft Europameister, die überwiegend hinten drin steht und in drei Spielen hintereinander dasselbe Tor macht (Flanke, Kopfball, Aus), und keine der hochgelobten Mannschaften, keiner der großen Stars, auch keiner der ehrgeizigen Youngsters war in der Lage, diesen Abwehrriegel zu knacken. Im Grunde war keine Mannschaft gut genug. Ganz schön enttäuschend.
Andererseits: Das Finale haben wir in einem griechischen Restaurant gesehen, jeder Raum völlig überfüllt, schon nach dem Tor konnte ich den Bildschirm kaum noch sehen, weil die griechische Großfamilie vor uns bei jeder Wiederholung (und das Tor wurde in der verbleibenden Spielzeit häufig wiederholt) aufspringt und beinahe die Bilder an den Wänden runterreißt, nach dem Schlußpfiff spielt der ganze Laden verrückt, die Musik übertönt die Kommentatoren, Frauen tanzen auf den Tischen, Gläser zerspringen, überall wirbel Bierglasmanschetten durch die Luft, Fahnen werden geschwenkt und Hupen dröhnen fröhlich durch den Raum.

Das Halbfinale zwischen Portugal und den Niederlanden habe ich im Scott´s View gesehen. Die meisten waren für Portugal, bis auf einen weiblichen Hollandfan im orangen Trikot und mit einer aufblasbaren Gummikrone, aus der sie am Ende aber die Luft gelassen hat. Im Fernsehen konnte man sehen, wie eine portugiesische Familie gemeinsam die Nationalhymne vor dem Spiel ansieht/hört, der fast erwachsene Sohn nuckelt an dem Kreuz, das um seinen Hals hängt, der Mutter kommen die Tränen, und der Vater, der schon ganz schön angesetzt hat und (wie alle portugiesischen Männer?) noch kleiner ist als seine Frau, singt lauthals die Nationalhymne. Nachdem Portugal völlig verdient und trotz unglaublich vieler vergebener Torchancen gewonnen hat, kann ich kaum einschlafen, weil die ganze Nacht über Autos hupend und fahnenschwenkend durch die Stadt fahren (eine Nacht später mit griechischen Fahnen). Donnerstag morgens steht ein kleiner Junge mit einer riesigen Flagge, dreimal so groß wie er selber, an der Weseler Straße und ruft allen Autos PORTUGAL hinterher.

Nachdem am Freitag Griechenland die müden und langsamen Franzosen geschlagen hat, waren wir noch kurz (und nicht sehr originell) in einer Gyrosbude, und zu Ehren König Ottos spendierte man uns einen Ouzo für jeden.
Am Samstag konnte ich nur das Ende des Spiels im Radio hören, bei jedem erfolgreichen schwedischen Elfmeter brüllten Leute auf der Straße, aber am Ende wurden sie immer leiser, und aus unerklärlichen Gründen (selbst ihr Trainer wirkte schockiert) gewannen die Niederländer ihr Elfmeterschießen, vielleicht ausgleichende Gerechtigkeit, nachdem sie vor vier Jahren im Halbfinale schon während des Spieles zwei verschossen hatten.
Gestern habe ich das letzte Viertelfinale mit meinem Onkel und meiner Tante gesehen, meine Tante kann Fußballkommentatoren noch weniger ausstehen als Fußballspiele, aber mein Onkel mag den Trainer der Tschechen, er findet dass er nach Prager Kaffeehäusern aussieht, der Moderator findet, er lächelt milde, altersweise, wie ein Fuchs, aber seine Spielerstars haben soviel Respekt vor ihm, dass sie sich selbst an ihren freien Nachmittagen nicht trauen, nach Lissabon zu fahren, aus lauter Angst, doch zu spät zu kommen.

David Bowie hat eine neue Identität angenommen: hat sich seinen Bart blond gefärbt, ist Schiedsrichter geworden und hat gestern das Spiel England gegen Portugal gepfiffen. Er war nicht die einzige Ikone auf dem Platz: David Beckham war auch da, allerdings als er selber, sonst hätte er im Elfmeterschießen den Ball nicht meilenweit übers Tor getreten. Und Figo, aber nach Meinung seines Trainers nur noch als Schatten seiner selbst, nach Figos Meinung nicht, deswegen verschwand er nach seiner Auswechslung wortlos in der Kabine und ohne wieder aufzutauchen und verpasste zwei Tore für Portugal, eins für England, je ein nicht gegebenes für jedes Team und den portugiesischen Torwart, der den letzten englischen Elfmeter ohne Handschuhe hielt und danach den entscheidenen für Portugal verwandelte.

 

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