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so lang ist das Leben

In diesem Fall zweiundsechzig Jahre.
Gestern sah ich unter den Todesanzeigen, dass meine Geschichtslehrerin bei einem Verkehrsunfall gestorben ist, Oberstudienrätin, 62 Jahre alt. Eigentlich habe ich sie damals nicht besonders gemocht, sie mich vielleicht auch nicht, ich wußte immer alles besser und die guten Noten bekamen brave Mädchen. Sie hat mir immer leid getan. Sie war klein und wirkte zerbrechlich und einsam, hatte keinen Mann und keine Kinder, und wenn sie durch die Schulgänge lief, ihren kleinen Kopf mit dem Pagenschnitt hoch erhoben, sah sie immer ein bißchen an dir vorbei, und sie lächelte. Kein glückliches Lächeln, eher eine Art Schutzmaske, ein erstarrtes Kampflächeln, um stark zu sein für den Tag, die nächste Unterrichtsstunde, die nächste grausame Klasse. Manche haben es darauf angelegt, sie zum Weinen zu bringen. Sie war mehrmals in psychiatrischer Behandlung.
Noch als Schüler traf ich sie einmal in einem Buchladen. Sie kaufte Bildbände über die antike Geschichte, für ihre Nichten, sagte sie, man versucht sie ja immer vergeblich dafür zu interessieren. Und sie lächelte ihr verkrampftes, starres Lächeln.
Später, als sie mich nicht mehr erkannte, oder zumindest hinter ihrem Lächeln nicht deutlich wurde, ob sie mich erkannte, sah ich sie manchmal an der Uni. Obwohl sie auch als Lehrpersonal durchgekommen wäre, schloß sie wie jeder Student ihre Sachen in einen Spind, und las in der Bibliothek des Historischen Seminars die neuesten Fachzeitschriften. Vielleicht wollte sie auf dem Laufenden bleiben. Ich habe mich immer gefragt, welche Träume, Pläne, Ziele sich hinter ihrem Lächeln verbargen.
Im Nachruf der Schule stand: "Wir verlieren eine allseits geschätzte, stets freundliche und lebensbejahende Kollegin."

 

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