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wenn man mit der straßenbahn zum velodrom in berlin fährt, kommt man von der rückseite und sieht erstmal nur eine nichtssagende betonwand mit einem dezenten schriftzug: herzlich willkommen velodrom, man muß eine ganze menge stufen ersteigen und sieht dann oben vor sich nur eine art wildblumenwiese, im hintergrund realsozialische weiße hochhäuser, und plötzlich bemerkt man in einer senke einen riesigen kreisrunden kasten, fensterlos, wie ein gigantisches mühlrad, zufällig im osten berlins gelandet, man läuft ein paar stufen runter, findet einen sehr kleinen eingang, und plötzlich ist man in einer riesigen halle, und zehntausend leute sitzen in dem künstlichen licht und wohnen einer veranstaltung bei, die man draußen nicht mal erahnen konnte, die taz schreibt am nächsten tag von einer veranstaltung in einer erstaunlich ruhigen atmosphäre, und ein bißchen fühlt man sich, als wäre man ins unterirdische zion aus matrix vorgestoßen

zum Beispiel mag ich Fortex
WEIL er so hart arbeiten muß und wer-weiß-wie-viele Putzstellen hat, um seine Familie in Afrika zu ernähren, aber trotzdem Theresa für zwei Wochen nach Nigeria eingeladen hat und ihr sogar den Flug dahin spendiert. Dabei sind die beiden gar kein Paar, seitdem Fortex in Afrika geheiratet und dort ein Kind hat, trotzdem kümmern beide sich rührend um einander, Fortex besucht Theresa zweimal täglich, wenn sie im Krankenhaus liegt, und Theresa erledigt den ganzen furchterregenden Schreibkram, dem Afrikaner in Deutschland ausgesetzt sind, obwohl die endlosen Ämterbriefwechsel ihr auch Angst einjagen.
Jetzt fahren sie in elf Tagen nach Afrika und waren extra in Berlin, auf dem Konsulat, wegen Theresas Einreisegenehmigung.
WEIL Fortex fast geweint hat vor Freude, als jemand ihm Kinderbücher mit biblischen Geschichten organisiert hat, die er seinem Sohn in Nigeria mitbringen will, und aus Traurigkeit, als Deutschland bei der EM in der Vorrunde ausgeschieden ist. Also mich hat das nicht so mitgenommen.

in der aula am aasee, eigentlich einem etwas größerem hörsaal, von dem aus man, wenn man günstig sitzt, ins grüne blicken kann, finden manchmal semesterabschlußkonzerte des studentenorchesters statt, weil es in münster ja immer noch keine musikhalle gibt, die konzerte fangen grundsätzlich mit unerträglich langweiligen einführungen des dirigenten an, verschlimmert noch durch seinen wiener akzent und den penetranten versuch, den eindruck zu vermitteln mit allen großen komponisten auf vertrautem fuß zu stehen, wenn es gerade nicht mehr geht, fangen endlich die aufführungen an, gestern waren die bläser etwas schief, aber die solovioline ziemlich gut, und es war sogar ausgesprochen voll, vielleicht weil der eintritt frei war, wir haben ziemlich weit hinten gesessen, so weit hinten, dass man hemmungslos sms schreiben konnte zwischendurch, oder einfach mal rausgehen, wenn man frische luft brauchte, eine grundschulklasse saß vor uns, mit verzweifelten lehrern, die immer wieder aufstanden, mit dem finger auf einen ihrer schüler zeigten, und dann demonstrativ auf den ausgang, schließlich hat eine lehrerin versucht, sich hinter íhre klasse zu setzen, mußte aber feststellen, dass sie jetzt gat nichts mehr sehen konnte, und schließlich blieb sie, und vielleicht hat sie das an vorlesungen in ihrer studentenzeit erinnert, neben ihrer klasse auf den stufen des aufgangs sitzen.

Eigentlich war ich am Sonntag nach dem Finale etwas traurig, die ganze EM über wurde von der neuen offensiven Spielweise geschwärmt und den vielen beeindruckenden Toren, und dann wird eine Mannschaft Europameister, die überwiegend hinten drin steht und in drei Spielen hintereinander dasselbe Tor macht (Flanke, Kopfball, Aus), und keine der hochgelobten Mannschaften, keiner der großen Stars, auch keiner der ehrgeizigen Youngsters war in der Lage, diesen Abwehrriegel zu knacken. Im Grunde war keine Mannschaft gut genug. Ganz schön enttäuschend.
Andererseits: Das Finale haben wir in einem griechischen Restaurant gesehen, jeder Raum völlig überfüllt, schon nach dem Tor konnte ich den Bildschirm kaum noch sehen, weil die griechische Großfamilie vor uns bei jeder Wiederholung (und das Tor wurde in der verbleibenden Spielzeit häufig wiederholt) aufspringt und beinahe die Bilder an den Wänden runterreißt, nach dem Schlußpfiff spielt der ganze Laden verrückt, die Musik übertönt die Kommentatoren, Frauen tanzen auf den Tischen, Gläser zerspringen, überall wirbel Bierglasmanschetten durch die Luft, Fahnen werden geschwenkt und Hupen dröhnen fröhlich durch den Raum.

irgendwo auf der a2 zwischen bielefeld und magdeburg wird das radioprogramm noch öder als als die landschaft, man will eigentlich schon längst in berlin sein, und fährt schon seit stunden an überdimensionalen windräder mit roten blinklichtern und an einkaufshallen von möbeldiscountern vorbei, steht zwischen lastwagen aus dem baltikum und mit plastikspielzeug vollgeladenen polnischen kleinwagen im stau, und im radio laufen angeblich die besten hits der achtziger, neunziger mit dem besten von heute, oder internetadressen günstiger gebrauchtwagenhändler werden vorgelesen, schlimmer noch, manchmal vorgesungen, wahre abwechslung wird garantiert, und deswegen zwischen der vorschau auf die hits der nächsten stunde oder den sachsenanhalttag in aschersleben nach groszny geschaltet, oder bagdad, oder kabul, zum aktuellen bombenanschlag, und die wetteransage klingt so ehrlich vergnügt wie eine stimme nur klingen kann, die von regen spricht aber sommer meinen soll.

Ein Nachruf.
Endlich hat das unfreundlichste Internetcafé in Münster zugemacht. Das einzige Internetcafé der Welt, in dem man dumm angemacht wurde, wenn man keinen Kaffee bestellt hat (woanders gibt es die umsonst dazu). In dem ständig die Computer abstürzten, die Drucker nicht funktionierten, und selbst wenn eigenlich alles korrekt lief, bauten sich die Seiten noch langsamer auf als in jedem Internetcafé Lateinamerikas. Ich war wirklich nur ganz selten da, und immer ganz zufällig, aber jedesmal war sonst fast niemand da, und der einzige, der noch da war, hat sich über die Computer beschwert und ist ohne zu zahlen abgehauen. Der Verantwortliche war nicht nur wortkarg, ein bißchen wirkte er so, als wären seine Gäste (Gäste?) für die schlechten Computer verantwortlich. Manchmal saßen noch ein paar freundliche Libanesen dort, nebenan war eine Shawarma-Bude, und tranken Tee, aber man hatte immer ein bißchen das Gefühl, sie würden sich für ihren Landsmann schämen.

Das Halbfinale zwischen Portugal und den Niederlanden habe ich im Scott´s View gesehen. Die meisten waren für Portugal, bis auf einen weiblichen Hollandfan im orangen Trikot und mit einer aufblasbaren Gummikrone, aus der sie am Ende aber die Luft gelassen hat. Im Fernsehen konnte man sehen, wie eine portugiesische Familie gemeinsam die Nationalhymne vor dem Spiel ansieht/hört, der fast erwachsene Sohn nuckelt an dem Kreuz, das um seinen Hals hängt, der Mutter kommen die Tränen, und der Vater, der schon ganz schön angesetzt hat und (wie alle portugiesischen Männer?) noch kleiner ist als seine Frau, singt lauthals die Nationalhymne. Nachdem Portugal völlig verdient und trotz unglaublich vieler vergebener Torchancen gewonnen hat, kann ich kaum einschlafen, weil die ganze Nacht über Autos hupend und fahnenschwenkend durch die Stadt fahren (eine Nacht später mit griechischen Fahnen). Donnerstag morgens steht ein kleiner Junge mit einer riesigen Flagge, dreimal so groß wie er selber, an der Weseler Straße und ruft allen Autos PORTUGAL hinterher.

In Jörns Familie hat sich einiges geändert. Er hat zwar wieder eine neue Freundin, die lange Rocke tragen muß und Jörn gerne daran erinnert, wie wichtig es ist, treu zu sein. SIe ist mit Sicherheit jünger als Jörn, und Jörn ist gerade fünfzehn geworden.
Außerdem ist seine Stiefmutter verschwunden, plötzlich war sie weg, mehr weiß Jörn nicht, und sein Vater erzählt nicht mehr darüber. Sein Vater sieht immer grauer, schmaler und kleiner aus. Mittwoch abend mußte ich lange an der Tür warten, bis jemand geöffnet hat, und dann dachte ich erst, jemand anders wäre in die Wohnung gezogen: in der Tür stand ein aufgedunsener Mann, ein Deutscher, kein Sinti, sehr betrunken, kurzatmig, seine Wangen gerötet und glänzend. Aber dann tauchte Jörns Vater doch hinter ihm auf, und wollte uns reinbitten, war aber genauso betrunken.
Außerdem hatte der Unbekannte etwas gegen unsere Anwesenheit, keine Ahnung was ER in der Wohnung wollte, abgesehen vom Trinken. Was wollen Sie eigentlich hier, versuchte er zu fragen, von welcher Institution (mit diesem Wort hatte er ziemliche Schwierigkeiten) kommen Sie denn? Bitte tun Sie mir einen Gefallen - Jörn ist nicht hier. Und dann hat er langsam die Tür geschlossen, und Jörns Vater stand dahinter und sah sehr hilflos aus, und einsam, und noch jungenhafter und weniger erwachsen als sein Sohn.

zum Beispiel mag ich den Erzbischof,
WEIL er natürlich in Wirklichkeit kein Erzbischof ist, wer weiß, ob ich ihn dann auch mögen würde. Seinen echten Namen habe ich leider vergessen. Jedes Mal, wenn ich ihn treffe, ist mir das peinlich, denn meinen Namen weiß er noch, und als Erzbischof will ich ihn auch nicht unbedingt ansprechen. Wir waren mal zusammen auf Exkursion in der Normandie, und der Erzbischof war mit Abstand der Älteste in der Gruppe. Selbst Geschichtsstudenten höheren Semesters entwickeln sich auf Exkursionen zu VIertklässern auf Klassenfahrt zurück, und irgendwie wurde eine ältere Studentin plötzlich zur "HERZOGIN" und hat wahllos Titel verteilt und Hofdamen, Herolde, Barden ernannt, und so blieb dem Erzbischof als Einzigem über sechzig nichts anderes übrig, als eine geistliche Rolle zu übernehmen, was er auch gerne machte, ich glaube er war in dem Moment nicht weniger angetrunken als die HERZOGIN. Zugegebenermaßen hätte er auch in Wirklichkeit Erzbischof werden können: fast wäre er Priester geworden, aber kurz vor den letzten Weihen hat er doch lieber geheiratet und ist Bankkaufmann geworden. Und nachdem er in den Ruhestand versetzt wurde, begann er seinen Magister in Geschichte zu machen. Er ist fast fertig, aber als ich ihn gestern getroffen habe, ging es ihm trotzdem nicht gut. Er hatte im Winter eine Krebsoperation überstanden und die Werte sind immer noch nicht wie sie sein sollten. Jetzt muß er noch ein paar Wochen auf weitere Ergebnisse warten, aber er versuchte so optimistisch wie möglich zu wirken: Da muß man durch, sagte er, und wenn man sich auf Besseres konzentriert, dann geht es einem auch gleich besser.
Das wünsche ich ihm.

 

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