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Endlich wieder Bücher gekauft! In letzter Zeit hatte ich irgendwie andere Sachen im Kopf. Ein Buch davon bzw.einen Autor stelle ich diese Woche vor, und das schöne für alle Nicht-Leser ist: es ist ein Bildband.
Verschlungene Pfade von Bruce Chatwin.
Bruce Chatwin ist erst sehr spät in seinem Leben Schriftsteller geworden (und dann ist er auch noch kurz danach gestorben, an Aids, aber er hat versucht, den Leuten irgendwelche Geschichten aufzubinden, zum Beispiel von einer Fledermaus, die ihn in einer Höhle in Indonesien gebissen und mit was Tropischem angesteckt habe), vorher und überhaupt ist er vor allem herumgereist, und dabei hat er nicht nur Notizen gemacht, sondern auch fotografiert. In dem Bildband werden die schönsten Fotos (von Nomaden in Afrika, Moscheen im Iran, aber vor allem immer wieder Wüsten) durch kleine Texte aus seinen Büchern ergänzt. Ein anderes schönes Buch von ihm, das ich aus diesem Anlaß bei mir wiedergefunden habe, heißt "In Patagonien", und es ist bemerkenswert wie viele traurige Geschichten und Bilder Chatwin in einer so menschenleeren Landschaft finden kann.
(Gruß an Jasper: in dem Buch stand auch, dass Bruce Chatwin Jules Verne nicht mochte. Er meinte, die Wirklichkeit ist spannend und bilderreich genug, warum soll man sich Sachen ausdenken?
Ich mochte Jules Verne früher trotzdem, es ist nur schon so lange her, dass ich was von ihm gelesen habe, dass ich mich nur noch daran erinnern kann, dass in einem Buch Leute auf einem mechanischen Elefanten durch Indien reisen, das fand ich ziemlich cool.)

Gestern war ich in mehreren theologischen Fakultäten, um Bücher zu besorgen oder aus alten Heiligengeschichten zu kopieren, und nachher fragte mich meine Professorin, ob ich wüßte, dass in theologischen und juristischen Bibliotheken die meisten Bücher geklaut werden.
Aber eigentlcih wollte ich jetzt gar nichts schäbiges über Theologiestudenten schreiben, nur etwas über die Bibliotheksangestellten, aber die sind an allen Fakultäten ziemlich freakig. Gestern in der Evangelischen Theologie fragte die Aufsicht nach meiner Professorin (ich war gerade dabei den Leihschein auszufüllen): Die ist doch nich etwa von den Katholiken??? Ach so, von den Historikern. Mittelalter, hmm. Kennste dieses Lied aus den Sechzigern? Und dann hat er mir was vorgesungen über RITTER, irgendeinen Schlager im Kölner Dialekt. Ich hatte auch mal ne Ritterrüstung, als Kind, meinte er, mit so nem richtigen Schwert, hat toll geglänzt, aber war natürlich eigentlich nur Plastik, hattest du auch mal eine? Ich mußte leider verneinen.

Jörn ist wieder da, gestern habe ich ihn getroffen, mit seiner Freundin, sie heißt Lena und ihretwegen hat er den Großteil seines Praktikums im Supermarkt geschwänzt, er wollte sie lieber auf ihrer Praktikumsstelle besuchen, in einem Geschenkeladen in der Innenstadt. Seinem Vater geht es wirklich schlechter, er kann kaum noch sehen und wirkt ganz grau und blaß, zum Arzt darf er aber trotzdem nicht gehen. Jörn behauptet: erst wenn es seinem Vater wirklich schlecht geht, dann kann er zum Familienrat gehen und der entscheidet dann, ob ein Arztbesuch erlaubt werden kann oder nicht, und natürlich würden die dann auch mitkommen. Zur Zeit ist der Familienrat aber in Frankreich. Wenn der Familienrat so weit weg ist, könnte dein Vater nicht einfach heimlich zum Arzt gehen?, frage ich Jörn. Ne, das würden die ja mitkriegen, die beobachten uns ja, meint Jörn. Er würde auch wissen, wer ihn beobachtet, sogar wenn er zum Arzt geht, würde der mit in die Praix kommen. Er hat ihn schon mal angesprochen und der hätte gesagt, seinem Vater dürfe er nichts erzählen.

Eigentlich ist Fortex ja der Neffe eines Stammeskönigs in Nigeria, trotzdem lebt er schon seit zehn Jahren in Deutschland und hat traurige Sachen in unserer Republik erlebt. Den größten Teil des Tages putzt er Treppenhäuser oder Restaurants, um seine Familie in Afrika zu ernähren und die Medikamente zuschicken zu können, die dort keiner bezahlen kann. Die meisten (deutschen) Arbeitgeber versuchen ihn zur Schwarzarbeit zu überreden, weil er sich weigert, hat er schon manche Arbeitstellen verloren. Um nicht illegal zu arbeiten, hat er sich für einen zwei-Stunden-Job (wöchentlich) selbstständig gemeldet und soll jetzt der Berufsgenossenschaft ca. Tausend Euro zahlen, andernfalls droht eine Haftstrafe. Seine Freundin hat er über Jahre nicht im Stich gelassen, sie täglich in den Psychiatrien besucht, in die sie eingewiesen wurde, aber die Mutter seiner Freundin, eine achtzigjähige Katholikin vom Dorf, lädt ihn trotzdem zu keinem Familienfest mit ein. Er verabscheut Ärzte, die der Meinung sind Lebensspannen festzulegen ("sie haben noch höchstens drei Monate zu leben" sagte ein Arzt zu einer krebskranken Freundin) und er ist der Meinung, solche Ärzte sind am Tod der Patienten mitschuldig, denn ohne Hoffnung könne man auch nicht leben (die Bekannte ist tatsächlich nach zwei oder drei Wochen gestorben).
Gestern hat Fortex Fußball gesehen, Italien gegen Dänemark, und was ist sein Favorit? Deutschland - "das ist nummer eins".

Ihr habt schon genauso lange nichts mehr von Joern gehört wie ich, das letzte was ich von ihm gehört habe, hat Daniel mir erzählt, der ihn vor ein paar Wochen mal im Coerdemarkt gesehen hat.
Ein bißchen macht mir das Sorgen, denn in den letzten Wochen war bei Joern nie jemand zuhause, und das ist sehr ungewöhnlich. Vor ein paar Wochen stand in der Zeitung, dass in Coerde 23% der Einwohner den ganzen Tag lang nicht ihre Wohnung verlassen. Da mußte ich sofort an Joerns Familie denken, Joern geht zwar zur Schule, aber sein Vater und seine Stiefmutter sind eigentlich immer zuhause, sie sitzen vor dem Fernseher, oder vor der Videospielkonsole, egal wie schön draußen das Wetter ist, aber die Wohnung scheinen sie nie zu verlassen, vielleicht gehen sie zweimal die Woche was einkaufen, oder zu irgendeinem Amt, Bescheinungen einreichen, oder die Sozialhilfe abholen.
Wo sind sie jetzt?

zum beispiel mag ich Freddie
WEIL er Hochbetten für seine Kinder selber baut, und liebevoll die Holzwände mit Figuren gestaltet, und manchmal repariert er sogar mein Fahrrad, und er ist nach Meinung seines verstorbenen Schwiegervaters "der beste Fahrradreparateur der Welt". Und WEIL er Dienstag auf einer Schulung in Wuppertal war, da hat er die Schwebebahn gesehen, und war entsetzt über den Straßenverkehr, da war ja die Berliner Straße, erzählte er, das war ja der Störfaktor Nummer eins, da waren soviele Spuren, und die fuhren alle so schnell, ohne Ampel wär man da nie rübergekommen. Da wollte ich echt sofort weg, und ins Paradies. Außerdem ist er der einzige Brasilianer, den ich kenne, und deswegen können seine blonden Kinder alle auch ein bißchen Portugiesisch. Und weil er von den Spaghettis seiner Frau schwärmt, also die Spaghettis, die Susi macht, die kann keiner so gut machen wie sie. (Susi bekommt sowieso noch einen eigenen Eintrag.)

in coerde gibt es mehrere ungefähr zwölfstöckige hochhäuser in der königsberger strasse, die früher versucht haben, einen etwas höheren lebenstil zu ermöglichen, aber heute zusehends verwahrlosen, gestern sollte ich jemandem helfen, ein paar umzugskartons in den keller zu bringen, damit in seiner wohnung etwas mehr platz ist, und wir versuchten mit dem aufzug in den keller zu fahren, vom erdgeschoss aus fuhr der aufzug aber wieder nach ober, wir versuchten es nochmal, im erdgeschoss wurden wartende nachbarn schon etwas ungeduldig, aber wir fuhren wieder zurück nach oben, kann es sein, meinte ich, das man einen schlüssel braucht, um in den keller zu fahren? nö, nich das ich wüßte, aber dann kam ein junges sportliches mädchen in den aufzug und fragte: hey was fährste denn immer hoch und runter, ach, du willst in den keller, weißte nich das du da einen schlüssel für brauchst, und so sind wir dann doch noch in den keller gekommen, mein umzugskartonbesitzer hatte aber plötzlich keine ahnung mehr, wo sein keller war, und irrte in den endlosen dunklen kellern umher, plötzlich blieb er vor einer kaputten tür stehen, oh man, meinte er, haben die meinen keller aufgebrochen, und er öffnete vorsichtig die tür, ne, sind ja gar nicht meine sachen, plötzlich hatte er die idee, mit seinem schlüssel die nächste tür zu öffnen, war aber auch nicht sein keller, der nächste raum auch nicht, auch nicht der übernächste, sag mal, du kannst doch nicht einfach alle kellertüren aufschliessen, wenn das gar nicht deine räume sind? fragte ich vorsichtig, siehtste doch, das ich das kann, ich hab n`Dietrich, schließlich hatte er alle türen geöffnet bis auf nummer 37, irgendwie hatte ich dunkel in erinnerung, das er irgendwas von nummer 37 gesagt hatte, aber er meinte, lass uns mal lieber den hausmeister fragen, der war zum glück gerade im erdgeschoss und unterhielt sich mit einer nachbarin über einen verwahrlosten mieter aus ostdeutschland, zweiundzwanzig jahre alt, ohne eltern aufgewachsen, hat noch nie gearbeitet, den müßte er wohlauf die straße setzen, er wußte aber immerhin die richtige kellernummer, es war die nummer 37, der einzige kellerraum, den wir noch nicht betreten hatten, wenn man in den hochäusern eine wohnung in den oberen stockwerken hat, dann kann man übrigens über die ganze stadt sehen.

Jasper schreibt in seinem Weblog was über seine neuen Bücher, und das erinnert mich daran, dass ich ja eigentlich eine eigene Rubrik habe, um Bücher vorzustellen - die Gelegenheit, mal wieder damit anzufangen.
Heute:
Der Ohrenzeuge von Elias Canetti,
einer der wenigen deutschsprachigen Schriftsteller, die den Nobelpreis bekommen haben, trotzdem eher einer der unbekannten Autoren. Vielleicht liegt das daran, dass er nie irgendwo richtig zuhause war, er wurde als Sohn spanischsprachiger Juden in Rustuk, in Bulgarien, geboren, wuchs aber in Manchester, Frankfurt, Zürich und Wien auf, wo er als junger Mann in die intellektuelle Szene der zwanziger Jahre integriert war, in den dreißiger jahren emigierte er wieder nach England, gestorben ist er in der Schweiz.
Canetti ist ein ziemlich eitler Schriftsteller, das merkt man vor allem in seiner Autobiographie, deswegen stelle ich die hier auch nicht vor, obwohl die auch lesenswert ist. Er schrieb aber auch sehr scharfzüngig (vielleicht hängt das eine mit dem anderen zusammen), und das merkt man vor allem in dem schmalen Buch "der Ohrenzeuge", in dem er in sehr kurzen Kapiteln Menschentypen beschreibt, die eigentlich ziemlich fantastisch klingen (was ist ein OHRENzeuge, zum Beispiel?, aber je mehr Typen man sich erliest, um so mehr hat man das Gefühl, von solchen Menschen selbst umgeben zu sein.

im preussenstadion an der hammerstrasse haben sich in besseren zeiten manchmal über zwanzigtausend menschen zweitligaspiele gegen schalke 04 angesehen, da kann sogar ich mich noch dran erinnern, und samstagnachmittag war alles ein bisschen wie früher, volles haus, wir mußten uns auf eine begrenzungsstange stellen und an einem fahnenmast festhalten, um was sehen zu können, unglaublich trostlose typen, die obszöne lieder singen, oder - fast noch schlimmer - "draussen steht ne companie / mit hunderttausend mann", wir sehen ein mädchen, das wir noch von früher kennen, sie ist hochschwanger, aber im überfüllten fußballstadion, und sie raucht, das spiel ist spannend, weil bis zur letzten minute wattenscheid kein tor schiessen darf, und irgendwie steigt preußen münster wieder mal nicht in die vierte liga ab, vielleicht lag es diesmal an dem öko-fan, der mit seinen rasta-freunden zum spiel gekommen ist, und seine mannschaft mit hölzernen klangstäben angefeuert hat, er scheint sie von seinem letzten indien-aufenthalt mitgebracht zu haben, jedenfalls: es hat geholfen.

 

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