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Zum Beispiel mag ich Georg Rabach
WEIL er mir seinen kleinen Garten auf der Dominsel in Brandenburg gezeigt hat. Die Dominsel (kleiner Exkurs) ist der älteste Teil der Stadt Brandenburgs, und wie jeder in Brandenburg stolz erzählt, älter als Berlin, und besteht nur aus ein paar Häuserzeilen und dem gotischen Backsteindom. In einem der wenigen Häusern ist Georg Rabach 1920 geboren worden und bis 1998 hat er auf der kleinen Insel gelebt, bis seine Frau starb und er ins Haus seiner Tochter umgezogen ist, aber noch immer macht er sich jeden zweiten Tag auf die mindestens halbstündige Reise zur Dominsel, öffnet die Gittertür neben seinem Geburtshaus und geht langsam auf dem schmalen Pfad zwischen den Gärten zum Seeufer. Eigentlich kein Seeufer, sondern das Ufer eines Flußarms, als Kind ist er zur anderen Seite geschwommen oder zu einer unbewohnten Insel mit riesigen Bäumen, auf denen Reiher nisten. Dann geht er zu seinem kleinen Grundstück, auf dem er mit seiner Familie zu DDR-Zeiten illegale religiöse Zusammenkünfte abgehalten hat, trinkt ein Bierchen auf der Terrasse des kleinen Gartenhäuschen und sieht nach den Tomaten im Treibhaus. WEIL er sagt: sechs Jahre warte ich jetzt auf meine Frau, aber sieh mal: als ich im Gefängnis war, hat sie sieben Jahre auf mich gewartet. Und wir konnten uns nur alle drei Monate eine halbe Stunde sehen und nicht mal berühren. Und gerade mal einen kleinen Brief im Monat schreiben, wenn er nicht zensiert wurde. Jetzt warte ich, aber wenn sie wiederkommt, möchte ich dabei sein.

das kleine städtchen werder liegt direkt vor potsdam und nahe an berlin zwischen einer reihe kleiner idylllischen seen, und wo sich diese seen an einer besonders idyllischen stelle treffen hatte ein investor eine besonders idyllische idee: man baue um ein klobiges fontane-denkmal herum eine reihe weißgestrichener, holzbekleideter doppelhaushälften mit südstaatenveranden und blaugedeckten dächern, der eingang zu diesem wohnpark flankiert von zwei kreisrunden gelbverklinkerten wehrtürmen, ein schloß im cinderella-stil als krönung, und direkt am seeufer ein fischrestaurant, benannt nach ernest hemingway und dekoriert mit postkarten seines hauses und seiner bar auf key west sowie alten postkarten aus florida, im sommer können gäste auf der veranda direkt am see sitzen, im oktober verringern sich die sitzmöglichkeiten daher um die hälfte, und wir zum beispiel finden keinen platz, aber so richtig hätten wir in das versnobte west-berliner sonntags-ausflug-publikum auch nicht gepasst, und wir verschwinden aus dem wohnpark, der bewacht wird von einem uniformierten informationsmännchen in einer kleinen holzhütte, der immobilienprospekte verteilt, und essen etwas wesentlich günstigeres in dem italienischen restaurant an der ecke, in welches schon alt gewordene söhne ihre mütter ausführen, die ihrerseits so alt sind, dass sie sich noch nicht richtig an die italienische küche gewöhnt haben und sich weigern pizza zu essen.

Wahrscheinlich mögen die Mullahs im Iran Fußball gar nicht und würden sich wünschen, dass ihre religiösen Programme so viel Begeisterung entfachen könnten wie die deutsche Fußballnationalmannschaft, die schon lange nicht mehr in Deutschland so bejubelt wurde wie in Teheran. Wahrscheinlich ist es auch schon lange her, dass 100.000 Iraner freiwillig Stadien stürmen, um für die Ayatollas zu demonstrieren, dann noch und weitere 150.000 draußen bleiben müssen, weil sie keinen Einlaß mehr bekommen können.
Immerhin kann die religiöse Führung des Iran noch verhindern, dass auch Frauen zu Füßballspielen zugelassen werden, unter den 100.000 waren nur ein paar weibliche, deutsche Botschaftsangehörige. Nicht verhindern konnten sie die deutschsprachige Bandenwerbung. Unter anderem für Bitburger. Bierwerbung in einer islamischen Theokratie? Aber nur für alkoholfreies Bitburger.
Wer weiß, was passiert währe, wenn der Iran am Samstag gewonnen hätte - wäre dann eine Revolution ausgebrochen. 250.000 Leute müßten ausreichen. So gesehen können die Mullahs sich bei Fabian Ernst, Thomas Brdaric und Jens Lehmann sogar noch bedanken.

Samstag bin ich mit meiner Freundin und meiner Oma ausgegangen. Zum Italiener, da fällt meiner Oma die Wahl nicht so schwer, zu einem Spaziergang auf der Promenade, und zu einem Kaffee, irgendwo.
Plötzlich fing meine Oma an zu erzählen - falscher Satzanfang, eigentlich redet meine Oma ununterbrochen, also nochmal -
Plötzlich wechselte meine Oma das Thema und erzählte von der Zeit nach dem Krieg, als sie mit ihrem Mann in dem Kino an der Weselerstraße (wo später das Jovel war und jetzt ein Supermarkt) Aufklärungsfilme ansehen mußte.
Aufklärungsfilme, Oma??
Ja, aber natürlich mehr so wegen Krankheiten und so. Auf jeden Fall mußten Männer und Frauen getrennt sitzen, in unterschiedlichen Hälften des Kinos. Aber meine Oma hatte Glück, und sie kichert, während sie das erzählt: sie konnte direkt am Rand sitzen, und direkt neben ihrem Mann.
Es war gar nicht so einfach, dass ins Englische zu übersetzen. "Enlightment" passt irgendwie in diesem Zusammenhang nicht, und ein wirkliches englisches Wort gibt es nicht, nur einen langen idiomatischen Ausdruck mit "bees" etc.
Jocelyn muß lachen, als ich ihr die Storxy übersetze, dann denkt sie kurz nach, und plötzlich fragt sie: Wie ist deine Oma denn auf einmal auf DIESES Thema gekommen??

der weiße riese in berg fidel ist sicherlich das größte hochhaus münsters, aber ich bin mir gerade nicht ganz sicher, wieviele stockwerke es hat, fünfzehn, sechzehn vielleicht, früher waren die wohnungen dort ziemlich teuer, obwohl man selbst von ganz oben aus nur über andere hochhäuser sehen kann, über das marode preußenstadion und das gewerbegebiet an der siemensstraße, aber inzwischen wohnen immer mehr aussiedler im weißen riesen, viele perser und tamilen zum beispiel, und vor kurzem hatten die bewohner wochenlang ein problem: der fahrstuhl war kaputt und funktionierte nicht, wochenlang nicht, mütter mußten ihren kinderwagen untenstehen lassen und alle kinder und einkäufe bis nach oben tragen und viele alte leute, die nur einmal am tag in der lage waren, den langen auf- bezwiehungsweise abstieg zu bewältigen, mußten ihren tag jeden morgen perfekt planen, nichts durfte oben liegen gelassen werden, an alles mußte gedacht sein, wollte man nicht noch einmal den langen weg nach oben machen, und bevor man zurück nach hause kommen durfte, mußte alles erledigt gewesen sein, alle einkäufe getätigt, alle rezepte abgeholt und alle arztbesuche überstanden sein, war man sich auch wirklich sicher, dann konnte man die treppen in den sechzehnten stockwerk mit der wunderbaren aussicht wieder in angriff nehmen.

Der 19.02.1978 war ein Sonntag und mein Geburtstag. Beim Lesen der Stasi-Akten von Georg Rabach aus Brandenburg, der sieben Jahre in der DDR im Gefängnis war, weil er als Zeuge Jehovas missionierte, habe ich folgenden handschriftlichen Brief gefunden. Der Name des Absenders/der Absenderin ist leider geschwärzt, Rechtschreib- und Grammatikfehler des Originals sind übernommen worden:
"Am Sonntag, dem 19.02.78, bin ich um 10.00 Uhr aufgestanden und bereite gerade Frühstück zu.
Um 10.30 Uhr klopfte es an unserer Tür und machte sofort auf. Vor der Tür standen zwei Männer. einer war ca. 39-40 Jahre und der andere 23-25 Jahre, dieser hatte eine lange Figur ca. 1,83m. Sie hielten mit uns ein Gespräch über Jesus Christus, sowie über die Heilige Kuh in Indien. Dann brachten sie noch zum Ausdruck, über die Anzahl der Menschen auf der Erde. Dieses Gespräch ging bis 11.30 Uhr. Zum Schluß gaben sie uns noch eine Zeitschrift "Der Wachtturm". Sie stammte aus Wiesbaden vom 15.07.1977.
Am Nachmittag kam eine Nachbarin zu uns und erzählte, das diese beiden Männer auch bei ihnen waren. Dann sagte sie, daß es in unserer Republik solche Gruppe gibt, die Leute werben. SIe oder ihre Mutter waren auch schon einmal in solch einer Situation.
Darauf hin habe ich heute meine Dienststelle darüber informiert sowie die Zeitung übergeben."

Ein Semesterferienjob ist zu Ende gegangen. Die letzten Wochen sollte ich für eine etwas esoterisch angehauchte Nachbarin ihre Balkonblumen gießen. Ihre Wohnung ist vollgestellt mit Büchern von C.G.Jung und Sammelausgaben von Hermann Hesse, und im Regal steht auf einem Ehrenplatz ein richtig antiker Buddhakopf aus der Zeit der Gandhara-Dynastie, sehr kostbar, sagt sie, lassen Sie bloß niemanden in die Wohnung, dem man nicht trauen kann.
Eigentlich habe ich sowieso kein Händchen für Blumen, aber diesmal ist mir noch etwas anderes sehr dummes passiert: gerade als es Ende August am heißesten war, habe ich den Schlüssel in ihrer Wohnung liegengelassen. In Münster hatte niemand einen Ersatzschlüssel. Also mußte ich vom Nachbarbalkon ziemlich akrobatisch über die Mauer klettern, um wenigsten alle paar Wochen mal die Blumen zu gießen. Gereicht hat es aber trotzdem nicht: ein paat Blumen sind trotzdem eingegangen, die Dame war zwar nicht sehr glücklich darüber, blieb aber trotzdem freundlich, und ich habe insgesamt sechs Euro mit diesem Job verdient.

Zum Beispiel mag ich Armin
schon alleine WEIL er immer noch lebt, und die Ärzte haben ihn schon vor drei Jahren aufgegeben. Aber Moni kämpft um ihren Mann wie ein Löwe, damals hat sie ein neues Medikament durchgesetzt und der Krebs konnte gestoppt werden, und jetzt hofft sie immer noch und versucht es mit einer Apfelsinenkernkur. Was die Ärzte sagen ist mir egal, sagt sie, da hat immer noch Gott da letzte Wort, und solange noch was geht, glaub ich fest daran, dass Armin das schafft.
Armin ist fünfundzwanzig Jahre älter als Moni und früher, als junger Mann, hat er als Orgelspieler auf Veranstaltungen Musik gemacht. Am liebsten sitzt er auf seinem Balkon, blickt über die Felder an der Gasselstiege und erzählt vom Krieg, als er auf genau diesen Feldern von englischen Fliegern angegriffen wurde.
Letzte Woche hat Moni ein paar Leute angerufen, die auf der Orgel spielen sollten. Sie hat das Bild mit dem Wasserfall angestellt (das Wasser auf dem Bild begann sich zu bewegen) und dann hat sie Arnim im Krankenhaus angerufen, um ihm mit der Orgelmusik eine Freude zu machen.

In diesem Fall zweiundsechzig Jahre.
Gestern sah ich unter den Todesanzeigen, dass meine Geschichtslehrerin bei einem Verkehrsunfall gestorben ist, Oberstudienrätin, 62 Jahre alt. Eigentlich habe ich sie damals nicht besonders gemocht, sie mich vielleicht auch nicht, ich wußte immer alles besser und die guten Noten bekamen brave Mädchen. Sie hat mir immer leid getan. Sie war klein und wirkte zerbrechlich und einsam, hatte keinen Mann und keine Kinder, und wenn sie durch die Schulgänge lief, ihren kleinen Kopf mit dem Pagenschnitt hoch erhoben, sah sie immer ein bißchen an dir vorbei, und sie lächelte. Kein glückliches Lächeln, eher eine Art Schutzmaske, ein erstarrtes Kampflächeln, um stark zu sein für den Tag, die nächste Unterrichtsstunde, die nächste grausame Klasse. Manche haben es darauf angelegt, sie zum Weinen zu bringen. Sie war mehrmals in psychiatrischer Behandlung.
Noch als Schüler traf ich sie einmal in einem Buchladen. Sie kaufte Bildbände über die antike Geschichte, für ihre Nichten, sagte sie, man versucht sie ja immer vergeblich dafür zu interessieren. Und sie lächelte ihr verkrampftes, starres Lächeln.
Später, als sie mich nicht mehr erkannte, oder zumindest hinter ihrem Lächeln nicht deutlich wurde, ob sie mich erkannte, sah ich sie manchmal an der Uni. Obwohl sie auch als Lehrpersonal durchgekommen wäre, schloß sie wie jeder Student ihre Sachen in einen Spind, und las in der Bibliothek des Historischen Seminars die neuesten Fachzeitschriften. Vielleicht wollte sie auf dem Laufenden bleiben. Ich habe mich immer gefragt, welche Träume, Pläne, Ziele sich hinter ihrem Lächeln verbargen.
Im Nachruf der Schule stand: "Wir verlieren eine allseits geschätzte, stets freundliche und lebensbejahende Kollegin."

 

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